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    „In der aktuellen Hochkonjunktur ist die schwarze Null zu wenig“

„In der aktuellen Hochkonjunktur ist die schwarze Null zu wenig“

Mit Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld konnte einer der renommiertesten deutschen Ökonomen als Speaker für das UNIVERSUM Business Event 2018 gewonnen werden.

Ökonom Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld mahnt Überschüsse im Haushalt an


Nach Tätigkeiten als Professor an verschiedenen renommierten Universitäten in Europa übernahm er 2010 die Leitung des Walter Euckens Instituts und die Professur für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, welche er bis heute ausübt. Im Januar 2011 wurde er vom damaligen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen, wo er seither für das Thema Staatsfinanzen zuständig ist.

Im Interview erläutert Prof. Dr. Lars P. Feld, welche Auswirkungen eine Große Koalition auf die wirtschaftliche Entwicklung hat, welche Änderungen die Digitalisierung für Deutschland mit sich bringt und weshalb Kryptowährungen wie Bitcoin als Zahlungsmittel irrelevant sind.

Herr Prof. Dr. Feld, Deutschland befindet sich in einer historischen Situation: Wäre die Große Koalition geplatzt, hätte erstmals in der Geschichte eine Regierung ohne eigene Bundestagsmehrheit zustande kommen können. Was hätte dies für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland bedeutet?

Für die Konjunktur in Deutschland hätte eine Minderheitsregierung zunächst keine Auswirkungen gehabt. Die derzeitige wirtschaftliche Situation ist gut, die Wirtschaft ist nicht auf politische Veränderungen angewiesen. Eine Minderheitsregierung könnte problemlos die Übergangszeit bis zu Neuwahlen überbrücken. Mittelfristig erfordert die Europapolitik allerdings eine handlungsfähige Bundesregierung. Hier stehen einige Herausforderungen an.

Gleichwohl muss man die kurzfristigen Vorteile einer nur geschäftsführenden Bundesregierung sehen: Mit der vorläufigen Haushaltsführung könnte 2018 viel Geld gespart werden (lacht). Im Ernst: Kommt keine Große Koalition zustande, werden auf kurze Sicht viele für die Wirtschaft negative Änderungen vermieden – denn vieles im Koalitionsvertrag geht in die falsche Richtung.

Welche Änderungen wären das aus Ihrer Sicht?

Problematisch ist vor allem die zunehmende Regulierung des Arbeitsmarktes. Das umfasst den Gesamtkomplex Kündigungsschutz, die Leiharbeit und die Quasi-Abschaffung der sachgrundlosen Befristung bei befristeten Arbeitsverhältnissen. Das bedeutet: Insgesamt nimmt die Flexibilität im Arbeitsmarkt aufgrund steigender Regulierung ab. Dies ist ein kräftiger Schritt zurück – in Gegenrichtung der Agenda 2010. Dabei ist mehr Flexibilität, weniger Regulierung angesichts der Digitalisierung notwendig.

Grundsätzlich stellt sich aber die Frage nach der Realisierbarkeit der geplanten Änderungen. Ein spannendes Beispiel ist hier der Pflegesektor: Hier werden wolkige Versprechungen gemacht, für die sowohl das Geld als auch die Arbeitskräfte fehlen.

Apropos Geld: Was bedeutet ein SPD-Finanzminister für die Entwicklung der Staatsfinanzen? Bleibt die schwarze Null dennoch bestehen?

Die schwarze Null sehe ich nicht in Gefahr, sie wurde außerdem im Koalitionsvertrag vereinbart. Allerdings reicht diese in Hochkonjunkturzeiten nicht aus. Vielmehr müssten größere Überschüsse realisiert werden. Das unnötige Geldausgeben erhöht die Gefahr der Überhitzung der Wirtschaft und hat steigende Preise zu Folge. In einer Rezession würde dann das Gegenteil gelten: Dann muss der Staat investieren.

Welche Reformen sollten in Deutschland mittelfristig erfolgen?

Alle diejenigen, die im derzeitigen Koalitionsvertrag nicht vorgesehen sind. In der Steuerpolitik sind Erleichterungen für Unternehmen erforderlich. Im Bereich der Sozialpolitik ist eine klarere Ausrichtung des Rentensystems auf die Zeit nach 2030 zwingend: Hier wird lediglich oberflächlich an der Rentenformel herumgedoktert, anstatt die Rente zukunftsfähig zu machen. Hinzu kommen Geschenke wie eine weitere Mütterrente.

Auch die Gesundheitspolitik benötigt auf der Leistungsseite bessere Anreize für die Beteiligten, statt den Weg in Richtung einer Bürgerversicherung einzuschlagen. Insgesamt benötigt Deutschland flexiblere Strukturen statt einer zunehmenden Regulierung – gerade im Hinblick auf die Digitalisierung.


"Digitalisierung wird viel zu oft auf schnelle Internetverbindungen auf dem Land reduziert"


Die Digitalisierung ist auch für die Teilnehmer des UNIVERSUM Business Events eine spannende Entwicklung. Wie bewerten Sie die Pläne der neuen Regierung in diesem Bereich?

Im Koalitionsvertrag ist viel von Digitalisierung die Rede. Aber jenseits des Breitbandausbaus und der Förderung der Gaming Industrie bleibt das ohne Substanz. Wichtig wäre eine interdisziplinäre Expertenkommission aus Technikern, Ökonomen und Juristen, die analysiert, woran digitale Geschäftsmodelle in Deutschland scheitern und wo die Probleme eigentlich liegen. Denn eines ist klar: Am Breitbandausbau liegt es nicht.

Nicht? Gerade die Verfügbarkeit von schnellem Internet ist für die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle doch wichtig….

Mit Sicherheit. Aber hier wird in der öffentlichen Diskussion oft an den wirklichen Herausforderungen vorbeidiskutiert. Die Digitalisierung wird viel zu oft auf schnelle Internetverbindungen auf dem Land reduziert – dabei sind in 75% des Landes problemlos 50Mbit oder mehr verfügbar. Damit liegen wir bei der Konnektivität im internationalen Durchschnitt. Und allen Unkenrufen zum Trotz gehört Deutschland bei der Industrie 4.0 zu den führenden Nationen. Gerade Mittelständler, die hier rechtzeitig Ihre Chancen gesehen haben, sind in ihren Nischen oft vorne mit dabei.

Zusätzlich gibt es die Fokussierung auf den Glasfaserausbau. Hier rate ich zu etwas mehr Technologieoffenheit – ein staatlich festgelegter Glasfaserausbau ist wenig mehr als ein Beschäftigungsprogramm für die Deutsche Telekom. Und die wahren Probleme liegen ohnehin ganz woanders.

Wo denn?

Ein großes Thema ist die Überregulierung. Hier haben es neue Geschäftsmodelle in Deutschland schwer. Warum dürfen beispielsweise Arzneimittel nicht über das Internet vertrieben werden? Den Großkoalitionären scheint nicht mal ihre Widersprüchlichkeit aufzufallen. Alle sollen schnelles Internet haben, aber Arzneimittel sollen sie nicht bestellen dürfen.

Dann besteht gerade beim öffentlichen Dienst und im Gesundheitssystem großer Nachholbedarf. Die fehlende Digitalisierung ist für den einzelnen Bürger, etwa beim Beantragen eines Führerscheins, nervig. Für Gewerbetreibende können langsame Genehmigungsprozesse existenzbedrohend sein.

Auch wenn der Koalitionsvertrag hier versucht, Veränderungen anzustoßen: Ich befürchte, dass diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt sind. Das liegt einerseits an den vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen. Und andererseits – ein prominentes Beispiel ist der Gesundheitsbereich - an schwierigen inhaltlichen Zielkonflikten zwischen Digitalisierung und Datenschutz. Hier traue ich einer großen Koalition wenig Einfallsreichtum zu, die Parteien werden sich gegenseitig lähmen.


"In Kryptowährungen steckt schlicht und ergreifend viel Schwarzgeld"


Wie wird die Finanzbranche in Deutschland durch die Digitalisierung verändern?

Deutschland ist beim Strukturwandel im Finanzwesen schon relativ weit vorangekommen. Die Digitalisierung sorgt hier für große strukturelle Veränderungen, die teilweise jetzt schon zu beobachten sind. So werden die flächendeckenden Filialnetze der Finanzinstitute zurückgehen; insgesamt wird es zu mehr Konzentrationen kommen.

Gerade im mittleren Bildungsbereich, etwa bei Bankkaufleuten etc. wird zudem weiter Personal abgebaut werden. Die gute Nachricht: Stattdessen gibt es einen stärkeren Fokus auf beratungsintensive Tätigkeiten. Das bedeutet gute Chancen für diejenigen, die sich weiterbilden und dann eben die Spezialfälle bearbeiten, die nicht automatisch erledigt werden können.

Auch Kryptowährungen sind ein direktes Produkt der Digitalisierung. Wie bewerten Sie die Chancen von Bitcoin &Co.?

In diesen Systemen steckt schlicht und ergreifend viel Schwarzgeld. Darauf sind auch die Kursabstürze seit Jahresbeginn zurückzuführen: Sobald die Regulierung beginnt oder auch nur angedroht wird, wird das System für dieses Klientel uninteressant.

Kryptowährungen sind derzeit vor allem Spekulationsobjekte und als Zahlungsmittel irrelevant, solange sie nicht als gesetzliches Zahlungsmittel, also z.B. für die Begleichung der Steuerschuld anerkannt sind. Wichtig: Diese Analyse bezieht sich nur auf die Auswüchse der Kryptowährungen – und nicht auf die dahinterliegende Blockchain-Technologie, die sich zweifelsfrei durchsetzen wird.

Herr Prof. Dr. Feld, vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Das UNIVERSUM Business Event 2018

Auch neben Prof. Dr. Lars P. Felds Vortrag zur aktuellen politischen Lage hat das UNIVERSUM Business Event am 5. Juni 2018 eine Vielfalt an spannenden Themen zu bieten. Beispielsweise die Informationssicherheit im Zeitalter der Digitalisierung, über die Cybercrime-Experte Götz Schartner referieren wird, oder die Zukunft des Forderungsmanagements. Unter anderem wird Keynote-Speaker Walter Kohl, Sohn des Einheitskanzlers Helmut Kohl, seine eigene Biographie thematisieren. Sein Thema: „Souveräner Führen, Handeln, Leben – Kraftquellen für Entscheider“.

 

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