Was es mit dem Verfahren wirklich auf sich hat, erklärt Dr. Michael Semmler, Risikomanagement-Experte und Managing Director der UNIVERSUM Group, im Interview.
Social Scoring ist derzeit in aller Munde: Als Alternative zum klassischen Scoring wird die Möglichkeit, die Bonität von Kunden über öffentlich zugängliche Daten in sozialen Netzwerken wie Facebook herauszufinden, gehyped. Was es mit dem Verfahren wirklich auf sich hat, erklärt Dr. Michael Semmler, Risikomanagement-Experte und Managing Director der UNIVERSUM Group, im Interview.
Social Scoring wird - ebenso wie Scoring - für sehr unterschiedliche Aspekte gebraucht. Scoring bedeutet im Grunde die eindimensionale Bewertung eines Objekts auf Basis mehrerer Kriterien. Diese Bewertung kann dabei einfach ein willkürlich gewichteter Mittelwert der Kriterien sein. Viele Social Scoring Ansätze sind von ähnlicher Qualität, wenn sie einfach nur Follower, Aktivität und Interaktion, eben das Verhalten einer Person in der Vergangenheit messen. Scoring sollte aber immer eine Prognose für zukünftiges Verhalten einer Person sein. Im klassischen Kreditscoring wird die Wahrscheinlichkeit bewertet, dass die Person ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen wird. In diesem Zusammenhang verstehen wir unter Social Scoring das klassische Scoring, in dem zusätzlich zu Alter, Adresse und historischem Zahlungsverhalten auch Merkmale aus den sozialen Netzwerken benutzt werden.
Die genauen Algorithmen bleiben wie beim klassischen Scoring natürlich ein Geheimnis. Aber solide Scoring-Systeme basieren immer auf Datenanalysen mit einer Zielvariablen, hier dem zukünftigen Zahlungsverhalten, und erklärenden Variablen. Mit Hilfe statistischer Methoden wird versucht, mit den erklärenden Variablen die Zielvariable vorherzusagen. Gute Scoremerkmale weisen eine hohe Korrelation zur Zielvariablen auf, zum Beispiel welche Sortimente zu welchem Zeitpunkt von welchen Kunden im Kontext der Web-Session bestellt werden. Merkmale aus den sozialen Netzwerken ergänzen dabei die klassischen Kundenmerkmale wie Alter, Wohnort und Kontaktdaten. Im Grunde werden bei allen Scoring-Methoden Warenkorb-Profile mit unterschiedlicher zukünftiger Verhaltenswahrscheinlichkeit entwickelt, und das Individuum dann gemäß seinem Profil bewertet. Scoring-Ansätze wie die Übertragung des empirischen Zahlungsverhaltens aus der Gruppe des sozialen Netzwerks auf den Einzelnen sind zunächst willkürlich und bedürfen einer regelmäßigen Kausalitätsanalyse. Ein Scoring-System ist jedoch nur einsatzfähig, wenn die erklärenden Variablen, das Warenkorb-Profil, zum Entscheidungszeitpunkt – im Kreditscoring ist das meist im Checkout-Prozess „Bezahlen“ – auch messbar sind und online zur Verfügung stehen.
Die Richtigkeit der Daten ist nicht das eigentliche Problem. Es geht um die Verfügbarkeit, die Messbarkeit, die Aktualität und Objektivität der Daten. Wir haben gesehen, dass die Entwicklung eines Scoring-Systems ein datenanalytischer Lernprozess ist. Objektiv messbare Zusammenhänge in unserer Datenanalyse werden zu zukünftigen Entscheidungszeitpunkten angewendet. Die Qualität eines Scoring-Systems steht und fällt also mit der zeitlichen und inhaltlichen Stabilität der Scoremerkmale, der Wiederholbarkeit der Entscheidungssituation und der Invarianz gegenüber Strukturbrücken. Nicht die Anzahl und Vielfältigkeit der genutzten Merkmale sind ausschlaggebend, sondern die Prognosetauglichkeit der Merkmale. Die „Richtigkeit der Daten“ wird oft auch im Zusammenhang mit „Verbesserung des Scores“ gesehen. Sobald sich Scores durch manchmal auch gut gemeinte „Manipulation der Daten durch Verhaltensänderung“ beeinflussen lassen, kann man den Score vergessen. Es geht um die gelernte Korrelation zwischen Warenkorb-Profilen und zukünftigem Zahlungsverhalten. „Verbessern“ geht nur, indem man dem Unternehmen individuell auf anderem Weg Sicherheit vermittelt.
Nach der aktuellen Gesetzeslage ist Scoring, also auch Social Scoring, erlaubt. Der Datenschutz bezieht sich zunächst erst einmal nur auf personenbezogene Daten. Diese dürfen genutzt werden, wenn sie aus allgemein zugänglichen Quellen stammen. Dazu gehören neben Zeitschriften und Rundfunk auch die sozialen Netzwerke wie Facebook, Xing und Twitter, wenn sie nicht durch Privatsphäreneinstellungen nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden. Selbstverständlich dürfen auch Daten genutzt werden, für die der Nutzer seine Einwilligung gegeben hat. Gerade an der Stelle sind aber durch volatiles Einwilligungsverhalten Strukturbrüche bei der Nutzung der Daten aus den sozialen Netzwerken vorprogrammiert.
Wir werden sicherlich den Markt und die Gesetzeslage beobachten, uns aber in absehbarer Zeit nicht direkt mit der Nutzung der Daten aus sozialen Netzwerken beschäftigen. Noch sind nicht alle Schätze aus der klassischen Datenwelt im E-Commerce gehoben: Man denke nur an Browserinformationen, das Klickverhalten der Nutzer oder verfeinerte Warenkorbanalysen.
Dr. Michael Semmler ist Managing Director der UNIVERSUM Group und seit 2010 im Unternehmen tätig. Der Risikomanagement-Spezialist ist für die Bereiche Business Intelligence (Datawarehouse, Scoring, Reporting) und Forderungsbewertung verantwortlich. Nebenbei lehrt er an der Universität Ingolstadt Wirtschaftsinformatik.
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